Next step ahead – health care reform

18. Februar 2009
Von Andrea Fischer
Von Andrea Fischer

Dass es eine große Gesundheitsreform geben muss, ist unstrittig, aber wie, darüber gehen die Meinungen auseinander. Nicht nur bei den unterlegenen Republikanern.

Von außen betrachtet scheint es unstrittig, dass Amerika eine große Gesundheitsreform braucht, schließlich gibt es Millionen Unversicherte ohne jeden Schutz. Und auch in Amerika wird der Bedarf an Krankenversicherung heute von so vielen gesehen wie selten zuvor, eben nicht nur wegen der Unversicherten, sondern gerade auch, weil Gesundheitsschutz für normale Angestellte und ihre Arbeitgeber immer öfter unbezahlbar wird. Davon war vor einigen Tagen an dieser Stelle bereits die Rede. Die Krise wird ihr übriges dazu tun, die  Zahlen von Menschen in die Höhe zu treiben, die ihre Krankheitskosten oder die ihrer Familie in den Bankrott treiben. 

Gesundheitssystem kann man nicht am grünen Tisch entwerfen

Zweifellos ist eine große Einigkeit über das Problem ein wichtiger Schritt, es einer Lösung zuzuführen. Andererseits ist Klagen immer einfacher, als tatsächlich etwas zu ändern. Und was bitte soll man ändern? Einfach eine Krankenversicherung für jeden und jede Amerikanerin einführen, gezahlt aus einem Anteil des Lohns, je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern? Oder gar komplett aus Steuern finanziert, wie in Großbritannien? Schwer vorstellbar, nicht nur der englische Weg, der ja auch in den meisten europäischen Ländern abgelehnt wird, sondern auch der deutsche Weg, der ein Ausmaß an Verpflichtungen für den einzelnen Beschäftigten wie einzelne Arbeitgeber vorsieht, das für die amerikanische Denkungsart nur schwer annehmbar ist.

In einem instruktiven Text erklärt der Arzt Atul Gawande seinen Lesern im New Yorker, dass überall dort, wo es umfassende Gesundheitssysteme gibt (also in fast allen industrialisierten Ländern), diese Systeme nicht am grünen Tisch entstanden sind, sondern aufbauend auf etwas Bestehendem, so zum Beispiel in Großbritannien auf der Versorgung der Bevölkerung in den Kriegsjahren, wohingegen die Schweiz – ohne entsprechende Kriegserfahrung – die privaten Versicherungen immer weiter ausbaute und erst relativ spät staatliche Formen hinzufügte, um die nicht davon Versicherten zu erreichen.

Das Bestehende auf- und ausbauen

Gawande will mit seinem Hinweis auf die Pfad-Abhängigkeit der Gesundheitsversorgung sein Argument stärken, dass es müßig sei, sich ein neues – und vielleicht sogar gutes – Gesundheitsversorgungssystem auszudenken, sondern vielmehr realistischerweise davon auszugehen, was da ist und dies auszubauen.

Ausgehen vom Bestehenden – wer gründlich auf deutsche Vorurteile setzt, könnte meinen, da sei ja nichts, was als Startpunkt gelten könnte. Aber das stimmt nicht: Es gibt das Veteranen-Programm, also das umfangreiche medizinische Versorgungssystem für Kriegsveteranen, das einzige System mit einer alleinigen staatlichen finanziellen Verantwortung und beträchtlichen Leistungen. Dann gibt es das Medicare Programm, eine Art steuerfinanzierte Versicherung für die Älteren und Behinderten. Und es gibt die vielfältigen privaten Versicherungsprogramme für Arbeitnehmer, die in unterschiedlichem Umfang von Arbeitgebern unterstützt werden.

Gemessen am Vorurteil, in den USA gäbe es keine soziale Sicherheit, ist diese tatsächlich ausgesprochen komplex organisiert. Jedenfalls können diese Sicherungssysteme zum Ausgangspunkt für die Ausweitung der berechtigten Personen werden.

Natürlich ist keines dieser Systeme problemlos. Und über allem steht der allgegenwärtige Verdacht, dass staatliche Systeme besonders ineffizient seien und gegen den Willen der Versicherten, die mehr Wahl wollen. Andererseits: Die freie Wahl hat vielen Menschen keine Versorgung eingebracht oder im Notfall die teure und nicht immer gute Versorgung auf den Notaufnahme-Stationen in den Krankenhäusern. Offen ist allerdings, ob diese schlechte Alternative auch dann noch präsent sein wird, wenn es um die Installierung eines neuen Systems gehen wird.
 
Erste Schritte sind gemacht

Ein Vorbild könnte Massachusetts sein, der Staat, der 2006 ein staatliches Programm eingeführt hat, das alle Bürger zu einer Versicherung verpflichtet. Sie können dann wählen, bei wem sie welche Art von Versicherung abschließen, aber sie sind eben verpflichtet zu dieser Wahl. Auf jeden Fall tritt dort keine Unterversicherung mehr auf. Kritik gibt es trotzdem reichlich, allein an dieser starken staatlichen Einmischung. Denn natürlich können viele Menschen sich eben nur Medicare und Medicaid (für die Menschen am Armutslevel) leisten. Und sind damit von staatlichen Systemen abhängig, mit all den absehbaren Kostensteigerungen in den kommenden Jahren.

Ob der Weg, den Massachusetts gewählt hat, wirklich gangbar ist, kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Aber es ist ein Weg zu dem großen Ziel, alle Amerikaner zu versichern. Allerdings, so wird es in all den vielen Papieren zum Thema Healthcare Reform immer wieder betont, seien staatliche Programme teuer und ermöglichten den Menschen wenig Wahl ihrer Behandler und Behandlungsmethoden. Denn Ärzte mögen die staatlichen Programme nicht gern, sie bezahlen einfach schlechter als private Versicherungen. Eine Möglichkeit wäre, dass eine landesweite Healthcare Reform Verpflichtungen für Ärzte vorsieht, einen bestimmten Teil ihrer Arbeit für die Behandlung von Patienten vorzusehen, die in staatlichen Programmen sind. Entsprechende Vorschriften würden mit Sicherheit den Chor der Kritiker stärken. 

Obamas Pläne sind noch unklar

Aber derzeit weiß man wenig, wie die Pläne von Obama aus dem Wahlkampf Gestalt annehmen könnten. Hinweise gibt es: Der Rettungsplan der Regierung sieht eine Milliarde vor, damit durch vergleichende Studien die Effizienz von medizinischer Behandlung und Medikation überprüft wird. Ein schon jetzt sehr umstrittener Plan, nicht anders als in allen europäischen Ländern, in denen solche Behörden längst eingerichtet sind. Aber dass ein solches System eingeführt wird, ist ein Indikator, dass der ständige steile Anstieg der Gesundheitskosten nicht mehr einfach mit Verweis auf den freien Markt hingenommen wird.

Das alles geschieht in der unklaren Situation, dass kein Gesundheitsminister bislang gefunden wurde. Der vorgesehene Gesundheitsminister Daschle hätte nicht nur das US Department of Health and Human Services leiten sollen, sondern sollte auch Leiter der Arbeitsgruppe im Weißen Haus für eine Gesundheitsreform werden.

Auch diejenigen, die zugeben, dass unbezahlte Steuern und zu große Nähe zur Industrie ein Problem bei der Berufung von Daschle darstellten, zeigen sich betrübt, dass mit ihm ein ohne Zweifel qualifizierter und kundiger Mann nicht Minister werden konnte. Ihm hätte man zugetraut, eine Schneise im Dickicht der Interessen zu finden und durchzusetzen. Von der Suche nach einem neuen Minister dringt bislang nichts nach außen. Obamas Mannschaft wird es nicht leicht haben, jemanden zu finden, wobei die Sicherstellung, dass der oder die neue Kandidatin kein Steuerproblem hat, vermutlich ihre geringste Sorge ist.

Andrea Fischer, ehemalige Bundesministerin für Gesundheit, ist Kommunikationsberaterin und publizistisch tätig, unter anderem als Kolumnistin beim Berliner "Tagesspiegel" und der "Financial Times Deutschland".

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